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Mittwoch, den 12. Januar 2011

Redebeitrag von Thomas Beckmann, Sprecher der BAG

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren. Mein Name ist Thomas Beckmann, ich bin päd. Leiter des Fanprojekts Mainz und seit 2010 einer der beiden Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte.

Zunächst einmal möchte ich mich für die Möglichkeit bedanken, hier ein paar Worte zu diesem für die Fansozialarbeit eminent wichtigen Themenkomplex an sie richten zu dürfen.
Die Fanprojekte begrüßen es außerordentlich, dass mit dieser heutigen Veranstaltung in den Dialog getreten wird. Der bisherige Eindruck, dass mehr übereinander als miteinander geredet wurde, täuscht sicherlich nicht.
Ich möchte aber direkt schon mit Beginn dieses Kongresses ein wenig mahnend darauf hinweisen, dass es sich hierbei nicht um eine einmalige Geschichte handeln darf. Es reicht nicht, sich einmal zu treffen, in der Öffentlichkeit darüber zu berichten, wie wichtig es war und welche Vereinbarungen getroffen wurden – und das ist es dann gewesen.

Auch der sog. 10-Punkte-Plan ist nicht dazu da, um ihn so schnell wie möglich abzuarbeiten und mit Einmalveranstaltungen Punkt für Punkt abzuhaken. Hier gilt es langfristig angelegte Ideen und Konzepte zu erarbeiten und umzusetzen.
Der derzeit gerne benutzte Begriff der Nachhaltigkeit ist gerade in diesem schwierigen Umfeld enorm wichtig und angebracht. Nur wenn man sich in ständigem Austausch befindet und – ein Punkt auf den ich gleich nochmals eingehen werde – auf Augenhöhe verlässliche und belastbare Kommunikationsstrukturen und Vereinbarungen trifft, sehe ich eine Chance darin, den Titel dieses Kongresses tatsächlich auch umsetzen zu können. Feindbilder gehören nämlich ins Abseits!

Ich habe größtes Verständnis für die Schwierigkeiten, die der Beruf des Polizeibeamten mit sich bringt. Ich plädiere genauso wie die Polizeigewerkschaften für einen Abbau der unglaublichen Einsatzstunden im Fußballzusammenhang. Und ich kann es absolut nachvollziehen, dass es in keinem Beruf dieser Welt zum Alltag gehören darf, angespuckt, beschimpft und körperlich attackiert zu werden.
Das sind Dinge, die benannt und nicht hingenommen werden dürfen. Übrigens ebenso wenig wie die Tatsache, dass Kolleginnen und Kollegen aus den Fanprojekten ebenfalls dieses Überstundenproblem teilen und leider auch immer wieder in Auseinandersetzungen zw. Fans und Polizei hineingeraten und verletzt werden.

Die Vorgabe für meinen Vortrag sind 10 Minuten – für Pädagogen eigentlich ein Ding des Unmöglichen! Vorsorglich habe ich mir deshalb ein Schwerpunktthema herausgesucht. Andere Themenbereiche können wir dann ja gerne bei den zukünftigen Treffen behandeln.
Die professionelle Fansozialarbeit arbeitet seit Anfang der 90er Jahre nach dem NKSS. Wir reden hier jetzt von mittlerweile knapp 50 Fanprojekten mit rund 100 Pädagoginnen und Pädagogen. Dies mal zur Verdeutlichung der Größenordnung im Verhältnis zur Zahl der eingesetzten Polizeibeamten an Spieltagen.
Die komplette Fanprojektarbeit hier in diesem Rahmen vorzustellen ist selbstverständlich unmöglich. Deshalb werde ich mich nun auf die reine Spieltagsarbeit fokussieren:

Die Fanprojektmitarbeiter begleiten die Fanszenen über Jahre hinweg, was natürlich die Basis für intensive und vor allem belastbare Kontakte schafft. Fußballfans werden somit nicht nur auf ihr Verhalten am Spieltag reduziert sondern in ihrer Lebenswelt begleitet. An Spieltagen selbst begleiten wir insbesondere als problematisch eingestufte Fußballfans den ganzen Tag – egal ob bei Heim- oder Auswärtsspielen. D.h., es ist keine Seltenheit, wenn wir morgens um fünf Uhr die Zugfahrt mit dem beliebten Wochenendticket beginnen und erst in der folgenden Nacht wieder heimkehren. Eine zwanzigstündige Fanbegleitung ist somit keine Ausnahme. Und im Gegensatz zur Polizei findet bei uns kein Personalwechsel an den Landesgrenzen oder nach Ablauf des regulären 8-Stunden-Tages statt!
Dies hat zur Folge, dass das Fanverhalten und seine Entwicklung aufgrund der ganzheitlichen Begleitung gut eingeordnet werden kann. Einflussfaktoren für negative Situations- und Verhaltensentwicklungen werden von Fanprojekten in der Regel frühzeitig erkannt.

Und an dieser Stelle stoßen wir auf ein immer wiederkehrendes Problem:
Es ist enorm schwierig in den Dialog mit den vor Ort eingesetzten Beamten zu treten. Erst muss geklärt werden wer der richtige Ansprechpartner ist, dann stellt sich die Frage, ob man überhaupt Gehör findet. Allein das Ausweisen als Fanbetreuer stellt hier schon eine besondere Hürde dar, da die uns zur Verfügung stehenden DFB/DFL-Ausweise außerhalb der Stadien keine Gültigkeit besitzen. De facto findet insbesondere bei Auswärtsspielen kein Dialog auf Augenhöhe statt. (Umgang/Ton)
Dabei wären gerade in sich anbahnenden Krisensituationen schnelle, verbindliche Absprachen sehr hilfreich und es könnten so Eskalationen verhindert werden.

Es gibt natürlich auch positive Erfahrungen: Der Einsatz von Kontaktbeamten und Konfliktmanagern wie in Hannover oder die Durchführung von sog. Kurvengespräche wie in Aachen, Mainz oder München, etc. erzielen äußerst positive Ergebnisse und machen derzeit Schule. Durch den direkten Kontakt von Ordnungskräften und Fanbetreuern in einem offenen Umgang können aktuelle Erfahrungen rund um den Spieltag unmittelbar berücksichtigt und Fehlentwicklungen bzw. Fehleinschätzungen korrigiert werden.

An dieser Stelle erlauben Sie mir eine Anmerkung zu dem von Herrn Witthaut geforderten Alkoholverbot auf den Zugfahrten zu den Auswärtsspielen: Bevor eine derartige Forderung formuliert wird, sollte es zunächst einmal gewährleistet sein, dass sich Fans an den Bahnhöfen überhaupt mit Getränken eindecken können! In der Regel werden sie während der häufigen Umstiegszeiten auf den Bahnsteigen von der Polizei festgehalten und dürfen diese nicht verlassen – und es ist leider auch keine Seltenheit, wenn selbst der Gang zur Toilette verweigert wird!

Fakt ist jedoch: Das Verhältnis zw. Fans und Polizei ist seit längerer Zeit äußerst belastet. Ein Umstand, der jedoch nicht allein im Fußballzusammenhang gesehen werden darf.

Ich versuche nun einmal einige Ursachen hierfür zu beleuchten und möchte dann gerne einen Lösungsansatz vorstellen, der dieses problematische Verhältnis ein wenig aufbrechen und entschärfen würde.

  • Es ist unstrittig, dass der Einsatz von Beamtinnen und Beamten im Fußballzusammenhang notwendig ist. Dies ist auch von Fanseite ausdrücklich gewünscht! Einsätze mit gesprächsbereiten Einsatzkräften verlaufen in der Regel sehr harmonisch und stressfrei und werden auch dementsprechend positiv wahrgenommen.
  • Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass weniger sichtbare Polizeipräsenz auf den Hin- und Rückwegen der Stadien deutlich weniger provokativ wirkt und Situationen entspannt.
  • das Problem stellen eher Situationen dar, in denen einzelne Beamte Fehlverhalten an den Tag legen. Oder aber Einsatzleiter das Verhalten von Fußballfans einfach falsch interpretieren und dementsprechend überreagieren.
  • Dies ist bei der Vielzahl der Einsätze klar die Ausnahme, kommt jedoch leider immer wieder mal vor und bleibt im Gedächtnis der Fans besonders hängen.
  • Solche Vorkommnisse fangen beispielsweise beim massiven, provokanten, oftmals martialischen Auftreten der Beamten an, gehen über das einseitige „Duzen“ der Fans und leichtes Schubsen/Rempeln beim Vorbeigehen bis hin zu Gewaltanwendungen ohne ersichtlichen Grund
  • Nicht selten äußern die mitgereisten Szenekundigen Polizeibeamten ihr Unverständnis über das Verhalten ihrer Kollegen, bekunden aber stets, dass sie darauf keinen Einfluss haben (Problem der Zuständigkeiten; Polizeieinsätze sind Ländersache).
  • Hinzu kommt die Problematik, dass es für Fußballfans überhaupt keine Verhaltenssicherheit gibt. Je nachdem in welchem Bundesland die Spiele stattfinden, sehen sich Fans mit teilweise völlig unterschiedlichen Polizeivorgaben konfrontiert.
  • Das Ergebnis: Die Fans denken „Wir dürfen nichts, und die Polizei darf machen was sie will“ – und selbst die Fanbetreuer werden trotz klaren Ausweisens ihrer Funktion abwertend behandelt. Gerade der Umgang von Polizisten mit uns Fanbetreuern wird von den Szenen sehr genau beobachtet
  • Und dies sorgt häufig für ein Ohnmachtsgefühl des Ausgeliefertseins.

Fußballfans werden häufig pauschal als potenzielle Krawallmacher behandelt und ihnen wird längst kein Vertrauensvorschuss mehr entgegengebracht

Thema Kennzeichnungspflicht:
Erschwerend und belastend in Bezug auf das Verhältnis zwischen Fans und Polizei ist zudem die Tatsache, dass es enorm schwer ist, auffällig gewordene Beamte im Zusammenhang mit vermeintlich unrechtmäßigen Maßnahmen benennen bzw. identifizieren zu können.
Dies ist der Punkt, an dem ich im Namen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte zu der klaren Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für alle eingesetzten Polizeibeamte komme!
Es gibt hierfür viele Gründe:

  • Eine Kennzeichnung würde als klares Signal für Offenheit und Transparenz verstanden werden
  • sie verhindert Pauschalverurteilungen (Stichwort: ACAB-Gesänge)
  • eine Kennzeichnung hätte positive Auswirkungen für korrekt handelnde Beamte, da sie nicht mehr für Fehlverhalten ihrer Kollegen herhalten müssten
  • die subjektiv empfundene Ohnmacht oder Rechtlosigkeit vieler Fans gegenüber bestimmten polizeilichen Maßnahmen könnte so genommen werden.
  • Und eine Kennzeichnung würde für Fans und natürlich den Bürger im Allgemeinen eine Rechts- und Verhaltenssicherheit schaffen (wichtig: einheitliche Regelung!)

Es gibt ja in dieser Richtung bereits einige Vorstöße:

  • Im thüringischen Landtag hat erst kürzlich die FDP-Fraktion diese Thematik aufgerufen, ebenso wie die Fraktion B90/Die GRÜNEN in Sachsen
  • Amnesty International fordert derzeit ebenfalls in einer Kampagne die Kennzeichnung
  • Und in Berlin wird es jetzt bereits umgesetzt

Wichtig wäre wirklich eine bundesweit einheitliche Regelung!

2009 hat sich übrigens bei einer dt.-frz.-Zukunftswerkstatt der Daniel-Nivel-Stiftung ein Großteil der anwesenden Polizeibeamten ebenfalls dafür ausgesprochen.
Dort versprachen sich sowohl Fans, Fanbetreuer als auch eben die Vertreter der Polizei dadurch eine höhere polizeiinterne Selbstdisziplin wie auch mittelfristig eine größere Bürgernähe der Institution Polizei, also nicht nur zur Fanszene.

Es ist mir im Namen der BAG auch wichtig eines klarzustellen: es geht überhaupt nicht darum, Polizisten unter Generalverdacht zu stellen – es ist schon schlimm genug, dass es den Fußballfans häufig so ergeht!
Es geht lediglich darum, offensichtliches Fehlverhalten auch benennen und ahnden zu können.

Deshalb hier jetzt unser Vorschlag:
Es sollten gut sichtbare, irreversibel an der Einsatzkleidung befestigte, einfache Zahlenkombinationen angebracht werden, die nicht durch andere Kleidungsstücke oder Ausrüstungsgegenstände verdeckbar sind.

Und auch wenn bereits im Streifendienst Namensschilder gang und gäbe sind, halte ich zum Schutz der Beamten eine Zahlenkombination für ausreichend. Jedoch wäre es aus der Fanprojektsicht äußerst wünschenswert, wenn im sachlichen Dialog in der Situation vor Ort auch die Namen genannt würden, damit man weiß, mit wem man es zu tun hat. Dies ist leider längst keine Selbstverständlichkeit.

Abschließend möchte ich noch auf zwei Dinge hinweisen: Mir ist es sehr wichtig, dass bei den Debatten um Gewalt und Polizeieinsätze rund um Fußballbegegnungen stets die Sachlichkeit gewährleistet bleibt. Plakative und hetzerische Ausführungen haben in diesem Zusammenhang nichts zu suchen!

Die Fansozialarbeit versucht seit einigen Jahren – sowohl unter Leitung der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) als auch im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte den Dialog mit der Polizei zu führen und Lösungsansätze zu erarbeiten. Es wurden bereits mehrere Tagungen initiiert, an denen sowohl Polizeivertreter als auch Fanprojektler und Fanbeauftragte teilgenommen haben und seit zwei Jahren gibt es äußerst fruchtbare Treffen der Bundespolizeidirektion Koblenz mit den Mitarbeitern der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Fanprojekte.
Um nur einige Beispiele zu nennen.
Ich wünsche mir, dass diese Bemühungen und positiven Entwicklungen – auch mit der heutigen Veranstaltung – zu fruchtbaren Ergebnissen und einem dauerhaften Dialog führen.
Denn schließlich haben wir doch alle – Fanprojekte – Fans – Vereine und Polizei ein gemeinsames Ziel: Friedliche Spiele ohne Gewalt und Eskalation.

Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.